Mittwoch, 9. April 2014

"Privatisierung der Verantwortung"




   Frage: Sie haben kürzlich „gemeinsam mit Vertretern von Politik, Wirtschaft und Kultur“, wie es in Ihrer Pressemitteilung heißt, einen „IHK Arbeitskreis Wirtschaft und Kultur“ aus der Taufe gehoben. Geht’s jetzt los mit der großen Kulturförderung durch die freie Wirtschaft in M-V?

   Klaus Michael Rothe: Ich habe schon auf der von Ihnen angesprochenen Versammlung in der IHK gesagt: Ohne Wirtschaft ist alles nichts, denken Sie nur an die Steuereinnahmen, ohne die staatliche Ausgaben undenkbar wären. Das mag einem Künstler passen oder nicht. Außerdem ist das Kulturangebot einer Region natürlich ein nicht zu unterschätzender Standortfaktor: Dafür, ob ein ansiedlungswilliger Unternehmer sich in einer Stadt wie Schwerin wohlfühlen kann, ist es doch nicht unerheblich, ob es das Mecklenburgische Staatstheater gibt oder nicht. Die Wirtschaft braucht ein gedeihliches kulturell-soziales Umfeld, die Kultur benötigt eine leistungsstarke Wirtschaft, die zur Finanzierung der öffentlichen Aufgaben beiträgt; insofern bedingen beide einander. Ich hab' da so meine eigene Philosophie …
Klaus-Michael Rothe

… aber doch wohl auch eigene Interessen?

     Klaus Michael Rothe: Vernunft, Kreativität, Phantasie - das alleine hebt den Menschen über die übrigen Lebewesen hinaus. Dadurch sind wir einzigartig. Besonders wir, die wir uns hier in der Aufbauphase seit fünf Jahren um uns selber drehen, vergessen das vielleicht zu oft. Es gibt viel zu tun, und es ist viel nachzuholen. Seit zwei Wochen haben wir unten im Empfangsbereich der IHK Schwerin ein Bild als Leihgabe hängen, - darüber freue ich mich, das gefällt mir sogar.

   Frage: Welche konkreten Aufgaben hat sich der IHK - Arbeitskreis gesetzt?

   Klaus Michael Rothe: Wir wollen kulturinteressierte Unternehmer innerhalb der IHK Schwerin zusammenführen, die auch wirklich bereit sind, Geld einzubringen, um Projekte anzustoßen. Es kann - gerade jetzt in Zeiten leerer öffentlicher Kassen - nicht immer nur darum gehen, Geldforderungen an den Staat zu richten. Wir wollen uns selbst in die Pflicht begeben. Konkret haben wir als IHK in Gesprächen mit dem Schweriner Kultusministerium das Förderprogramm „Zweite Mark“ auf den Weg gebracht: Ein spezieller Förder-Fonds soll halbe-halbe aus Landesmitteln und aus Geldern bestritten werden, die von der Privatwirtschaft beigesteuert werden, und das immerhin in einer Größenordnung von einigen hunderttausend Mark. Wir verstehen uns als echte Lobby für Kunst und Kultur: Jeder muß sehen, daß er seine Truppen um sich schart. Die Qualität der Argumente muß wachsen, aber auch die Zahl derer, die sie vertreten.

   Frage: Jetzt werden also schon Positionen im Kulturetat geschaffen, die nur zustandekommen, wenn die Privatwirtschaft fünfzig Prozent beisteuert. Wird die Kunst strukturell gezwungen, zum Geld zu gehen?

   Klaus Michael Rothe: Ach, was. Angesichts der überhandnehmenden Sachzwänge bleibt doch gar kein anderer Weg! Oder wollen Sie wichtige Kultur-Projekte untergehen lassen, bloß weil es Mittel aus der Privatwirtschaft sind, die sie am Leben erhalten können? Unser IHK - Arbeitskreis wird produktiv sein …

… so produktiv wie die Deutsche Bank Schwerin? Die hat es ja fertiggebracht, ihren Ruhm als Finanzier des neuen Henrich-Denkmals auf dem Schweriner Marktplatz sozusagen als Bestandteil des Kunstwerks in Stein meißeln zu lassen.

   Klaus Michael Rothe: Das hätt' ich als IHK genauso gemacht. Dieses Opfer müssen die Beteiligten schon bringen. Darin mag die Möglichkeit eines Konfliktstoffes angelegt sein, aber auf minimaler Ebene. Damit können doch alle Beteiligten leben. Kritischer würde es, wenn regelrecht den künstlerischen Gehalt berührende Auflagen gemacht würden.

   Frage: Glauben Sie denn im Ernst, daß beispielsweise jemand, der als Künstler in den Genuß von Sponsoring Geldern der Mercedes Benz AG gekommen ist, ohne weiteres auf den Gedanken käme, so richtig ätzend Kritik an der automobilen Gesellschaft rüberzubringen?

   Klaus Michael Rothe: Da wären in der Tat Interessenkonflikte denkbar. Aber zurück zu unserer IHK Arbeitsgruppe: Da sind doch ganz unterschiedliche Leute drin, das ist doch nicht nur eine bestimmte Richtung. Wir werden uns schon aus solidem Eigeninteresse um einen möglichst weiten Horizont bemühen. Es geht uns ja auch um ganz konkrete Schritte zu einer verbesserten Stadtgestaltung: So will der IHK Arbeitskreis beispielsweise anregen, daß auf dem Marktplatz der Landeshauptstadt Schwerin wieder ein Brunnen platziert wird und uns selbst als IHK Arbeitskreis auch um die Mittelbeschaffung kümmern. Es ist im Übrigen klar, daß man in solchen Fällen für die Auftragsvergabe eine unabhängige, fachkompetente Jury bildet, die nicht von etwaigen Privat-Interessen einzelner Sponsoren in ihren Entscheidungen bestimmt werden kann.

   Frage: Verlagert sich nicht aber doch die Dominanz in der Kulturförderung zusehends vom staatlichen in den privatwirtschaftlichen Bereich?

   Klaus Michael Rothe: Ja, da kann man schon positiv von der „Privatisierung der Verantwortung“ für diesen Bereich sprechen. Da gilt das Prinzip „Zurück zum Bürger“, - so viel Staat wie nötig, so wenig Staat wie möglich.

   Frage: Sie haben von einer sozusagen etatmäßig institutionalisierten Form von Kultur-Sponsoring gesprochen. Wie weit sind denn Ihre Kontakte mit dem Kultusministerium in Schwerin insgesamt gediehen?

   Klaus Michael Rothe: Wir sehen uns als IHK Schwerin in der Rolle der Einladenden. In Bezug auf den gesamten Bildungsbereich sind die Kontakte naturgemäß schon immer eng. Bei der Kulturstrecke stecken wir noch in den Kinderschuhen.

   Frage: Vorausgesetzt, Ihr Modell von Kultursponsoring gewinnt generell ein solches Gewicht, daß der Einsatz von Mitteln der Privatwirtschaft aus der öffentlichen Kulturförderung nicht mehr wegzudenken ist. Entstehen da nicht doch Abhängigkeiten, die letztlich für niemanden mehr kontrollierbar sind?

   Klaus Michael Rothe: Was heißt denn kontrollierbar? Die Kunst ist frei. Man soll ja auch unseren Ansatz nicht überinterpretieren, - in der Hauptsache verstehen wir uns in der IHK als Anreger von Projekten. Wir wollen und können kein steuerndes und kontrollierendes Gremium sein. Wir wollen zu Impulsgebern werden, wie eine Qualle, die atmet. Sicher geht es beim Kultursponsering auch um den Werbeeffekt. Aber - wie gesagt - wir sehen uns ebenso als eine Art politischer Lobby nicht nur für die Wirtschaft, sondern eben auch für die mit ihr in Beziehung stehende Kultur. Wobei ja weit gefaßt ist, was man unter Kulturförderung verstehen kann. Da fällt das Veranstaltungsplakat, das eine Firma in ihr Schaufenster hängen läßt, genauso darunter, wie beispielsweise der Einsatz für eine stadtgestalterisch passende Weihnachtsbeleuchtung in der City. Und richtig spannend wird es dann auf der nächsten Ebene, wenn es etwa um eine politische Frage wie die Erhaltung des  Mecklenburgischen Staatstheaters Schwerin in der ganzen Breite seines Angebotes und seiner Möglichkeiten geht. Da sind wir auch bereit, konkret etwas zum Gelingen beizusteuern.

   Frage: Steht dann auf dem Pausenvorhang zu lesen: „Gute Unterhaltung bei Büchners 'Woyzek', präsentiert von der Deutschen Bank?

   Klaus Michael Rothe: Das ist eine Frage des Stils. Wahrscheinlich wäre eine Banderole besser, zumindest aber eine gebührende Erwähnung im Programmheft.

   Frage: Da fragt sich bloß noch, wie so mancher Sponsor auf einen Gesponserten reagiert, der ganz trocken feststellt: „Wes Brot ich eß', des Lied sing ich noch lange nicht“. Wie viele Störungen des eigenen Geschmacks-Nervensystems nimmt denn ein kunstsinniger Unternehmer hin? Steht da am Horizont nicht doch die Gefahr (oder, je nach Standpunkt, die Aussicht), daß Teile des Kulturlebens nach Gusto privater Geldgeber eingenordet werden?

   Klaus Michael Rothe: Ach, wissen Sie, früher hieß es immer: Der Geist steht links. Und auch heute, wo das so sicher nicht mehr gilt, kann man ja die meisten Künstler und Kulturschaffenden nicht gerade dem Bürgertum zuordnen. Die Wirtschaft muß sich demgegenüber als erhaltender Faktor sehen, während die Künstler zuallermeist Freigeister sind, also unverändert eher links. Es ist nicht unsere Aufgabe und nicht unser Ziel, das zu ändern. 


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