Montag, 16. Juni 2014

Mittelstand statt Mittelmaß


 Standpunkt von Klaus-Michael Rothe, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer zu Schwerin (IHK zu Schwerin) in der Schweriner Volkszeitung“ (SVZ) und in den „Norddeutschen Neuesten Nachrichten“ (NNN) vom 11.09.2002


 Zur Zeit gibt es eine in dieser Zeitung geführte lebhafte Debatte über die Bedeutung des unternehmerischen Mittelstandes in unserem Land Mecklenburg-Vorpommern. Zahlreiche zu lösende Problemstellungen wurden bisher angesprochen und - welche Überraschung - „die Parteien sagen der Wirtschaft Hilfe zu“. Doch wer hat noch den Glauben, solchen Aussagen wirklich zu vertrauen? Noch dazu unmittelbar vor den Wahlen; zu einem Zeitpunkt, in dem wir uns vor politischen Sonderangeboten und wundersamen Aussagen kaum retten können? In den zurückliegenden vier Jahren war genug Zeit alles zu tun, was primär der Schaffung von Arbeitsplätzen auf dem ersten Arbeitsmarkt dient und möglichst alles zu unterlassen, was diesem Ziel schadet.

Bundesweit müssen vor allem völlig überkommene Strukturen, z.B. im Arbeitsrecht oder im Bereich der Steuergesetzgebung, endlich aufgebrochen werden, um die Unternehmen national und international wieder wettbewerbsfähig zu machen. Primär in Westdeutschland müssen Lohnpolitik und Tarifstruktur sich endlich den längst gewandelten Wettbewerbsbedingungen anpassen, so dass die deutsche Wirtschaft insgesamt wieder Luft zum Atmen erhält. Und die Rahmenbedingungen für die Unternehmen in den neuen Bundesländern müssen mit besonderem Nachdruck so günstig wie nur irgendwie möglich gestaltet werden, damit sie, trotz ihrer besonderen Problematiken, die reale Chance haben, dauerhafte Marktteilnehmer zu werden. Denn seit fünf Jahren in Folge laufen die wirtschaftlichen Entwicklungen in Ost und West wieder auseinander und die neuen Bundesländer verlieren an Boden. Vor diesem Hintergrund ist es völlig verfehlt, dass die Wirtschaft unseres Landes bisher als Packesel für parteipolitische Wahlversprechen (z.B. Einführung des Bildungsfreistellungsgesetzes, Einführung der Verbandsklage usw.) missbraucht wurde. Esel sind zwar robuste Tiere, aber der „ Packesel Wirtschaft Mecklenburg-Vorpommern “ hat fürchterlich dünne Beine und trotzdem werden ihm immer größere Lasten aufgebürdet. Die Landespolitik muss daher ihre wirtschaftspolitische Kompassnadel statt wie bisher auf Mittelmaß endlich auf Mittelstand einnorden!

Wer arm ist, muss besonders klug sein

 „ Wer arm ist, muss besonders klug sein“, heißt es. Das bedeutet in unserem Fall, dass wir mehr als andere Bundesländer unsere Kräfte bündeln, Multiplikatoreffekte schaffen müssen. Mit den Gewerkschaften sind wir uns als IHK zu Schwerin in der Notwendigkeit einer Qualifizierungs-, Investitions- und Infrastrukturoffensive, die mit einer Standortoffensive verknüpft werden müssen. Bestehende Kerne innerhalb des Landes müssen z.B. zu dauerhaft lebensfähigen Zentren entwickelt werden. Subventionen, die mit der politische n Gießkanne über das Land verteilt wurden und werden, waren und sind ineffektiv. Denn in der Fläche verpuffen die Gelder ohne größere Wirkung, und in Ballungsgebieten reichen sie nicht aus, um die Entwicklung wirklich nachhaltig zu unterstützen. Aber statt besonders klug zu sein, wird schlaumeierisch aktionistisches Handeln praktiziert, um mit solchermaßen geschaffenen Scheinerfolgen die wirklichen Problemlagen wenigstens kurzfristig zu überdecken.

Politische Laubsägearbeiten nützen niemandem

 Doch solche politischen Laubsägearbeiten nützen niemandem. Die Politik, die für das Setzen der Rahmenbedingungen verantwortlich ist, kann das verloren gegangene Vertrauen des Mittelstandes nur zurückgewinnen, wenn sie endlich den Draht zur Realität findet. An tauglichen Vorschlägen zur nachhaltigen Verbesserung und Stabilisierung der Rahmenbedingungen, die den hart kämpfenden Unternehmen und den dort beschäftigten Menschen ein auskömmliches Wirtschaften ermöglichen, fehlt es seitens der Wirtschaft nicht. Im Vier-Augen-Gespräch wird einem dies von zahlreichen in der Verantwortung stehenden Politikern bestätigt. Doch warum, verdammt noch mal, haben diese Herrschaften dann auch nicht die Furchtlosigkeit und Charakterstärke, dies in ihren eigenen Parteigremien und in der Öffentlichkeit zu sagen und vor allem auch entsprechend zu handeln? Dazu gehört der Mut, zwingend Erforderliches auch wirklich zu entscheiden und nicht im Konsenspapier einzuwickeln. Das Erfolgsrezept heißt „pragmatisch Standortqualität schaffen“ und eben nicht „parteipolitisch und ideologisch motiviertes Draufsatteln“! Es darf nicht um Personen und Parteien gehen, sondern nur um richtige oder um falsche Politik. Und gerade für uns hier in Mecklenburg-Vorpommern ist in erster Linie diejenige Politik die richtige, die auf dem ersten Arbeitsmarkt Arbeitsplätze erhält und schafft - eine solche Politik ist zugleich auch die gerechteste und sozialste im gesamtgesellschaftlichen Sinn.

Klaus-Michael Rothe ist seit Bestehen der IHK zu Schwerin, 1990, Hauptgeschäftsführer.

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Samstag, 3. Mai 2014

Selbstverwaltung ist Selbstgestaltung - Zur Arbeit der IHKs (1.Teil)



von Klaus-Michael Rothe, Hauptgeschäftsführer der IHK zu Schwerin

(Erster Teil von zwei Teilen aus: Rothe, Klaus-Michael: Selbstverwaltung ist Selbstgestaltung - Zur Arbeit der IHKs. In: Zum mercklichen Vortheil des Publici... Aus der Geschichte der Industrie- und Handelskammern Neubrandenburg, Rostock und Schwerin. 1. Aufl. Rostock: Verlag Redieck & Schade, 2003, S. 345 - 353) 


A. Was sind Industrie- und Handelskammern


1. Organisationsform

Die Industrie- und Handelskammern (IHKs) sind Körperschaft en des öffentlichen Rechts, in denen sich die Wirtschaft zur eigenen Interessenvertretung und zur Regelung an sich staatlicher, jedoch wirtschaftsnaher Aufgaben selbst organisiert. Das oberste Gremium der IHK ist die von allen IHK zugehörigen Unternehmen gewählte Vollversammlung mit dem Präsidium an der Spitze. Die Mitglieder in Vollversammlung und Präsidium sind ausschließlich Unternehmer/innen oder Unternehmensvertreter/innen. Sie werden regelmäßig von allen IHK zugehörigen Unternehmen des jeweiligen IHK Bezirkes gewählt. Mecklenburg-Vorpommern hat je eine Industrie und Handelskammer in Schwerin, in Rostock und in Neubrandenburg sowie je eine Handwerkskammer in Schwerin und Rostock. Hinzu kommen jeweils eine landesweit für ganz Mecklenburg-Vorpommern tätige Architektenkammer, Ingenieurkammer, Apothekerkammer, Ärztekammer, Zahnärztekammer, Tierärztekammer, Steuerberaterkammer sowie die Rechtsanwalts- und Notarkammer - alle mit Sitz in der Landeshauptstadt Schwerin.

Hinter dem Kammersystem steht die Tatsache, dass die Selbstorganisation der Wirtschaft, des Handwerks und der freien Berufe kompetenter, wirksamer, preisgünstiger und unkomplizierter ist als eine staatliche Wirtschaftsverwaltung es sein könnte. Die über 3.700 ehrenamtlich, also unentgeltlich (!), für die IHKs in Mecklenburg-Vorpommern aktiven Unternehmer/innen benötigen aber hauptamtlich tätige Mitarbeiter/innen zu ihrer Unterstützung, denn die ehrenamtlich arbeitenden Unternehmer/innen führen in erster Linie ihre eigenen Unternehmen. Unter der Leitung des Hauptgeschäftsführers und mehrerer für verschiedene Geschäftsbereiche zuständiger Geschäftsführer/innen erledigen deshalb die Mitarbeiter/innen der IHKs die Aufgaben zur ständigen Interessenvertretung der kammerzugehörigen Unternehmen und der Wirtschaftsförderung. Hinzu treten die Aufgaben, die der Staat den IHKs per Gesetz oder Verordnung als Wirtschaftsorganisationsaufgaben übertragen hat.


2. Grundlegende Aufgaben der IHKs: Interessenvertretung, Wirtschaftsförderung, Hoheitliche Aufgaben

„ Interessenvertreter der Wirtschaft - Ratgeber des Staates und der Unternehmen - Förderer der Wirtschaft “: Das ist die Kurzformel für die Tätigkeit der Industrie- und Handelskammern. Diese Beschreibung zeigt, dass die IHKs wie ein Scharnier zwischen Unternehmen und Staat funktionieren. Denn die regionale Wirtschaft benötigt ein Kooperationsgeflecht und ein funktionierendes Netzwerk; das Getriebe hierfür sind die IHKs.

Als „ Interessenvertreter der Wirtschaft “ und als „ Ratgeber für Staat und Unternehmen “ sorgen die IHKs dafür, dass bei allen wirtschaftsrelevanten Entscheidungen von Verwaltung und Politik auf lokaler oder auf Landesebene, in Berlin oder Brüssel die Interessen der Wirtschaft berücksichtigt werden. Weil alle Unternehmen der Region (außer den Handwerksbetrieben und den freien Berufen) Mitglieder der jeweiligen Industrie- und Handelskammer sind und ihre gewählten Vertreter/innen in die Vollversammlung entsenden, kann von der Kammer eine objektive und ausgewogene Wirtschaftspolitik formuliert werden. Die Meinungsbildung zu den unterschiedlichen Belangen der Wirtschaft z.B. im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern erfolgt in Zusammenarbeit mit den 3.700 in den Gremien und Ausschüssen der drei IHKs in M-V tätigen Unternehmensvertreter/innen sowie durch Befragungen und Kontakte zu den Mitgliedsunternehmen. Bei zahlreichen Punkten, die Einfluss auf die Wirtschaft haben, z.B. bei der Planung von Verkehrswegen, beim Entwurf von Förderrichtlinien oder zu Bauplanungen geben die Kammern gegenüber Verwaltung und Politik fachliche Gutachten und Stellungnahmen ab. Sie sind zudem für einzelne Unternehmen als objektive Gutachter tätig, wenn es z.B. um die Wahl der Firmierung, um Anträge für öffentliche Kredite und Fördermittel, die Auswahl von Unternehmensstandorten, um Anträge zur Unabkömmlichkeitsstellung von Arbeitnehmern vom Wehrdienst und um vieles mehr geht.

Als „ Förderer der Wirtschaft “ setzen sich die IHKs für die gesamte Wirtschaft der jeweiligen Region, für ganze Branchen wie auch für einzelne Unternehmen und für zukünftige Unternehmer ( Existenzgründer ) ein. Die Wirtschaftsförderung der Kammer funktioniert als Selbsthilfeorganisation der Unternehmer/innen selbst: Wo die wechselnden Schwerpunkte liegen, bestimmen allein die Unternehmen durch ihre Nachfrage bei der Kammer und durch Entscheidungen der von allen kammerzugehörige n Unternehmen gewählten Vollversammlungsmitglieder sowie des Präsidiums der IHK selbst.

Schwerpunkte der Wirtschaftsförderung der IHKs liegen insbesondere in der aktiven Einflussnahme auf die Verbesserung der Verkehrs-, Ver- und Entsorgungsinfrastruktur, in der Bestandspflege der vorhandenen Unternehmen, in der betriebswirtschaftlichen Erstberatung, der Existenzgründerberatung, der Erteilung von Rechts- und Steuerauskünften, der Umwelt- und in der Innovationsberatung.

Zudem gewährleisten die IHKs in Deutschland die Ausbildung in den Unternehmen und sichern somit die Zukunftsfähigkeit der Betriebe. Und so kommen die meisten Bürger in Kontakt mit der Industrie- und Handelskammer, wenn es um die Ausbildung und Prüfungen in gewerblich-technischen sowie kaufmännischen IHK-Berufen geht. Zusammen mit den Unternehmen sorgt die IHK für die Ausbildungsfähigkeit und -eignung der Betriebe. Die IHK garantiert zugleich die Qualität der Ausbildungsinhalte und organisiert die theoretischen wie praktischen Zwischen- und Abschlussprüfunge n, die bundesweit anerkannt sind.

Die gesamte, weltweit vorbildliche deutsche Berufsausbildung wird in Deutschland von den Kammern mit ehrenamtlich er (d.h. unentgeltlicher!) Unterstützung der Unternehmen organisiert, ohne dass dafür ein staatlicher Verwaltungsapparat notwendig ist. In Mecklenburg-Vorpommern z.B. betreuen und organisieren die IHKs in Schwerin, Rostock und Neubrandenburg mit Hilfe von zur Zeit (2002) über 750 ehrenamtlichen Prüfungsausschüssen mit 3.100 ehrenamtlichen Prüfern/innen in über 110 verschiedenen Berufsbildern mehr als 30.000 Ausbildungsverhältnisse in ca. 5.000 Ausbildungsbetrieben. Jährlich führen die drei IHKs mit nur 37 hauptamtlichen Mitarbeitern/innen ihrer Geschäftsbereiche Aus- und Weiterbildung 22.500 Prüfungen durch. Über 230.000 Prüfung en haben die drei IHKs in Mecklenburg-Vorpommern zwischen 1991 und 2002 erfolgreich organisiert.


3. Aufgabenerfüllung im Auftrag des Staates

Die IHKs erfüllen mit allen ihren Tätigkeiten Aufgaben, die ihnen der Staat per Gesetz aufgegeben hat. Wichtigste Rechtsgrundlage ist dabei das Bundes IHK Gesetz ( IHK G ) vom 18. Dezember 1956. In seinem § 1 gibt das IHK G den IHKs den Auftrag, das Gesamtinteresse der Wirtschaft ausgleichend und abwägend zu vertreten und für die Förderung der gewerblichen Wirtschaft zu wirken:

Abs. 1: Die Industrie- und Handelskammern haben … die Aufgabe, das Gesamtinteresse der Ihnen zugehörigen Gewerbetreibenden ihre Bezirkes wahrzunehmen, für die Förderung der  gewerblichen Wirtschaft zu wirken und dabei die wirtschaftlichen Interessen einzelner Gewerbezweige oder Betriebe abwägend und ausgleichend zu berücksichtigen; dabei obliegt es  ihnen insbesondere, durch Vorschläge, Gutachten und Berichte die Behörden zu unterstützen und zu beraten sowie für Wahrung von Anstand und Sitte des ehrbaren Kaufmannes zu wirken.

Abs. 2: Die Industrie- und Handelskammern können Anlagen und Einrichtungen , die der Förderung der gewerblichen Wirtschaft oder einzelner Gewerbezweige dienen, begründen, unterhalten und unterstützen sowie Maßnahmen zur Förderung und Durchführung der kaufmännischen und gewerblichen Berufsbildung unter Beachtung der geltenden Rechtsvorschriften, insbesondere des Berufsbildungsgesetzes, treffen.

Abs. 3: Den Industrie- und Handelskammern obliegt die Ausstellung von Ursprungszeugnisse n und anderen dem Wirtschaftsverkehr dienenden Bescheinigungen, soweit nicht Rechtsvorschriften diese Aufgaben anderen Stellen zuweisen.

Abs. 4: Weitere Aufgaben können den Industrie- und Handelskammern durch Gesetz oder Rechtsverordnung übertragen werden. 

Sämtliche Aktivitäten der IHKs finden sich in diesem gesetzlichen Auftrag wieder: Auf der einen Seite nehmen sie durch ihre aktive Arbeit als „ Interessenvertreter der Wirtschaft “ und als „ Ratgeber für Staat und Unternehmen “ das Gesamtinteresse der Wirtschaft wahr, auf der anderen Seite wirken sie insbesondere durch ihr breites Dienstleistungsangebot als „ Förderer der Wirtschaft “. Hinzu kommen die zahlreichen hoheitlichen Aufgaben, die den IHKs durch das IHK Gesetz ( IHK G ) und durch weitere Gesetze, insbesondere das Berufsausbildungsgesetz ( BbiG ), übertragen wurden.

Von der grundsätzlichen Zielrichtung ihrer Arbeit ist die IHK somit an die Vorgaben des Gesetzgebers gebunden: Die Wahrnehmung des Gesamtinteresse s der gewerblichen Wirtschaft und die Förderung der Wirtschaft. Wie und durch welche Aktivitäten die IHKs dieser Verantwortung nachkommen, entscheiden sie jedoch selbst - durch die von allen Mitgliedern gewählten Unternehmer/innen und Unternehmensvertreter/innen in der Vollversammlung und im Präsidium. Öffentliche Aufgaben werden so effektiv in die Hände der betroffenen Unternehmen selbst gelegt: Selbstgestaltung durch gelebte Selbstverwaltung!


4. Struktur und interne Organisation der IHKs

Die IHKs sind Körperschaften des öffentlichen Rechts, denen alle Unternehmen mit Ausnahme reiner Handwerksbetriebe angehören, wenn sie generell gewerbesteuerpflichtig sind. Unternehmen, die auch in der Handwerksrolle in dem Verzeichnis handwerksähnlichen Gewerke eingetragen sind, gehören mit ihrem nichthandwerklichen Betriebsteil der IHK an.

Die Aufgaben der IHKs werden von deren gesetzlich festgelegten Organen wahrgenommen. Das oberste Beschlussorgan ist die Vollversammlung, das “ Parlament der Wirtschaft “. Ihre Mitglieder sind Unternehmer/innen und Unternehmensvertreter/innen aus dem jeweiligen IHK Bezirk, die in regelmäßigen Abständen durch alle IHK zugehörigen Unternehmen per Briefwahl gewählt werden. Die verschiedenen Wirtschaftszweige sind in der Vollversammlung ihrer Bedeutung in dem jeweiligen IHK Bezirk entsprechend repräsentativ besetzt. Bei den Wahlen zur Vollversammlung hat jedes Unternehmen unabhängig von seiner Größe oder Mitarbeiterzahl eine Stimme und somit die gleiche Einflussmöglichkeit auf die Arbeit der IHK.

Als höchstes IHK Gremium bestimmt die Vollversammlung über die Richtlinien der Kammerarbeit und beschließt über alle Fragen, die von grundsätzlicher Bedeutung für die gewerbliche Wirtschaft oder die Arbeit der IHK sind. Insbesondere bestimmen die in der Vollversammlung vertretenen gewählten Unternehmer/innen und Unternehmensvertreter/innen über den Haushalt der IHK und damit über sämtliche Einnahmen und Ausgaben sowie über die Höhe der jährlichen IHK-Beiträge.

Aus ihrer Mitte wählt die Vollversammlung das Präsidium mit dem Präsidenten/der Präsidentin an der Spitze und mehreren Vizepräsidenten/innen, deren Anzahl in der Satzung der jeweiligen IHK festgelegt wird. Aufgabe des Präsidiums ist es, die Beratungen der Vollversammlung vorzubereiten und für die Durchführung der von der Vollversammlung gefassten Beschlüsse zu sorgen. Zudem ist der Präsident/die Präsidentin der /die oberste ehrenamtliche Vertreter/in der IHK zugehörigen Unternehmen und repräsentiert zusammen mit dem IHK Hauptgeschäftsführer die IHK nach außen. Dieses System gewährleistet eine demokratisch legitimierte und glaubwürdige Vertretung des Gesamtinteresses der gewerblichen Wirtschaft gegenüber Politik und Verwaltung sowie in der Gesellschaft.

Neben dem Präsidium bestellt die Vollversammlung jeder IHK einen Hauptgeschäftsführer, der gemeinsam mit den anderen hauptamtlichen Mitarbeitern/innen für die laufenden Geschäfte der IHK, für die ständige Interessenvertretung der IHK zugehörigen Unternehmen und für die wirtschaftsfördernden Aufgaben der IHK verantwortlich ist. Ein unentbehrliches Bindeglied zwischen dem Hauptamt, der Vollversammlung und den Unternehmen sind die ebenfalls mit ehrenamtlichen Unternehmer/innen und Unternehmensvertretern/innen besetzten IHK Fachausschüsse und IHK Arbeitskreise. Sie werden zur Unterstützung von Vollversammlung, Präsidium und Geschäftsführung gebildet. Die Ausschüsse haben gegenüber den Entscheidungsorganen eine Beratungsfunktion für die Vollversammlung und die hauptamtlichen Mitarbeiter/innen. Sie gewährleisten, dass unternehmerischer Sachverstand und Praxisnähe unmittelbar in die Entscheidungs- und Arbeitsprozesse der IHK einfließen.

(Ende des ersten Teils von zwei Teilen „ Selbstverwaltung ist Selbstgestaltung - Zur Arbeit der
IHKs “ von Klaus-Michael Rothe, Hauptgeschäftsführer der IHK zu Schwerin. Aus: Rothe, Klaus-Michael: Selbstverwaltung ist Selbstgestaltung - Zur Arbeit der IHKs. In: Zum mercklichen Vortheil des Publici... Aus der Geschichte der Industrie- und Handelskammern Neubrandenburg, Rostock und Schwerin. 1. Aufl. Rostock: Verlag Redieck & Schade, 2003, S. 345 – 353).

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Mittwoch, 9. April 2014

"Privatisierung der Verantwortung"




   Frage: Sie haben kürzlich „gemeinsam mit Vertretern von Politik, Wirtschaft und Kultur“, wie es in Ihrer Pressemitteilung heißt, einen „IHK Arbeitskreis Wirtschaft und Kultur“ aus der Taufe gehoben. Geht’s jetzt los mit der großen Kulturförderung durch die freie Wirtschaft in M-V?

   Klaus Michael Rothe: Ich habe schon auf der von Ihnen angesprochenen Versammlung in der IHK gesagt: Ohne Wirtschaft ist alles nichts, denken Sie nur an die Steuereinnahmen, ohne die staatliche Ausgaben undenkbar wären. Das mag einem Künstler passen oder nicht. Außerdem ist das Kulturangebot einer Region natürlich ein nicht zu unterschätzender Standortfaktor: Dafür, ob ein ansiedlungswilliger Unternehmer sich in einer Stadt wie Schwerin wohlfühlen kann, ist es doch nicht unerheblich, ob es das Mecklenburgische Staatstheater gibt oder nicht. Die Wirtschaft braucht ein gedeihliches kulturell-soziales Umfeld, die Kultur benötigt eine leistungsstarke Wirtschaft, die zur Finanzierung der öffentlichen Aufgaben beiträgt; insofern bedingen beide einander. Ich hab' da so meine eigene Philosophie …
Klaus-Michael Rothe

… aber doch wohl auch eigene Interessen?

     Klaus Michael Rothe: Vernunft, Kreativität, Phantasie - das alleine hebt den Menschen über die übrigen Lebewesen hinaus. Dadurch sind wir einzigartig. Besonders wir, die wir uns hier in der Aufbauphase seit fünf Jahren um uns selber drehen, vergessen das vielleicht zu oft. Es gibt viel zu tun, und es ist viel nachzuholen. Seit zwei Wochen haben wir unten im Empfangsbereich der IHK Schwerin ein Bild als Leihgabe hängen, - darüber freue ich mich, das gefällt mir sogar.

   Frage: Welche konkreten Aufgaben hat sich der IHK - Arbeitskreis gesetzt?

   Klaus Michael Rothe: Wir wollen kulturinteressierte Unternehmer innerhalb der IHK Schwerin zusammenführen, die auch wirklich bereit sind, Geld einzubringen, um Projekte anzustoßen. Es kann - gerade jetzt in Zeiten leerer öffentlicher Kassen - nicht immer nur darum gehen, Geldforderungen an den Staat zu richten. Wir wollen uns selbst in die Pflicht begeben. Konkret haben wir als IHK in Gesprächen mit dem Schweriner Kultusministerium das Förderprogramm „Zweite Mark“ auf den Weg gebracht: Ein spezieller Förder-Fonds soll halbe-halbe aus Landesmitteln und aus Geldern bestritten werden, die von der Privatwirtschaft beigesteuert werden, und das immerhin in einer Größenordnung von einigen hunderttausend Mark. Wir verstehen uns als echte Lobby für Kunst und Kultur: Jeder muß sehen, daß er seine Truppen um sich schart. Die Qualität der Argumente muß wachsen, aber auch die Zahl derer, die sie vertreten.

   Frage: Jetzt werden also schon Positionen im Kulturetat geschaffen, die nur zustandekommen, wenn die Privatwirtschaft fünfzig Prozent beisteuert. Wird die Kunst strukturell gezwungen, zum Geld zu gehen?

   Klaus Michael Rothe: Ach, was. Angesichts der überhandnehmenden Sachzwänge bleibt doch gar kein anderer Weg! Oder wollen Sie wichtige Kultur-Projekte untergehen lassen, bloß weil es Mittel aus der Privatwirtschaft sind, die sie am Leben erhalten können? Unser IHK - Arbeitskreis wird produktiv sein …

… so produktiv wie die Deutsche Bank Schwerin? Die hat es ja fertiggebracht, ihren Ruhm als Finanzier des neuen Henrich-Denkmals auf dem Schweriner Marktplatz sozusagen als Bestandteil des Kunstwerks in Stein meißeln zu lassen.

   Klaus Michael Rothe: Das hätt' ich als IHK genauso gemacht. Dieses Opfer müssen die Beteiligten schon bringen. Darin mag die Möglichkeit eines Konfliktstoffes angelegt sein, aber auf minimaler Ebene. Damit können doch alle Beteiligten leben. Kritischer würde es, wenn regelrecht den künstlerischen Gehalt berührende Auflagen gemacht würden.

   Frage: Glauben Sie denn im Ernst, daß beispielsweise jemand, der als Künstler in den Genuß von Sponsoring Geldern der Mercedes Benz AG gekommen ist, ohne weiteres auf den Gedanken käme, so richtig ätzend Kritik an der automobilen Gesellschaft rüberzubringen?

   Klaus Michael Rothe: Da wären in der Tat Interessenkonflikte denkbar. Aber zurück zu unserer IHK Arbeitsgruppe: Da sind doch ganz unterschiedliche Leute drin, das ist doch nicht nur eine bestimmte Richtung. Wir werden uns schon aus solidem Eigeninteresse um einen möglichst weiten Horizont bemühen. Es geht uns ja auch um ganz konkrete Schritte zu einer verbesserten Stadtgestaltung: So will der IHK Arbeitskreis beispielsweise anregen, daß auf dem Marktplatz der Landeshauptstadt Schwerin wieder ein Brunnen platziert wird und uns selbst als IHK Arbeitskreis auch um die Mittelbeschaffung kümmern. Es ist im Übrigen klar, daß man in solchen Fällen für die Auftragsvergabe eine unabhängige, fachkompetente Jury bildet, die nicht von etwaigen Privat-Interessen einzelner Sponsoren in ihren Entscheidungen bestimmt werden kann.

   Frage: Verlagert sich nicht aber doch die Dominanz in der Kulturförderung zusehends vom staatlichen in den privatwirtschaftlichen Bereich?

   Klaus Michael Rothe: Ja, da kann man schon positiv von der „Privatisierung der Verantwortung“ für diesen Bereich sprechen. Da gilt das Prinzip „Zurück zum Bürger“, - so viel Staat wie nötig, so wenig Staat wie möglich.

   Frage: Sie haben von einer sozusagen etatmäßig institutionalisierten Form von Kultur-Sponsoring gesprochen. Wie weit sind denn Ihre Kontakte mit dem Kultusministerium in Schwerin insgesamt gediehen?

   Klaus Michael Rothe: Wir sehen uns als IHK Schwerin in der Rolle der Einladenden. In Bezug auf den gesamten Bildungsbereich sind die Kontakte naturgemäß schon immer eng. Bei der Kulturstrecke stecken wir noch in den Kinderschuhen.

   Frage: Vorausgesetzt, Ihr Modell von Kultursponsoring gewinnt generell ein solches Gewicht, daß der Einsatz von Mitteln der Privatwirtschaft aus der öffentlichen Kulturförderung nicht mehr wegzudenken ist. Entstehen da nicht doch Abhängigkeiten, die letztlich für niemanden mehr kontrollierbar sind?

   Klaus Michael Rothe: Was heißt denn kontrollierbar? Die Kunst ist frei. Man soll ja auch unseren Ansatz nicht überinterpretieren, - in der Hauptsache verstehen wir uns in der IHK als Anreger von Projekten. Wir wollen und können kein steuerndes und kontrollierendes Gremium sein. Wir wollen zu Impulsgebern werden, wie eine Qualle, die atmet. Sicher geht es beim Kultursponsering auch um den Werbeeffekt. Aber - wie gesagt - wir sehen uns ebenso als eine Art politischer Lobby nicht nur für die Wirtschaft, sondern eben auch für die mit ihr in Beziehung stehende Kultur. Wobei ja weit gefaßt ist, was man unter Kulturförderung verstehen kann. Da fällt das Veranstaltungsplakat, das eine Firma in ihr Schaufenster hängen läßt, genauso darunter, wie beispielsweise der Einsatz für eine stadtgestalterisch passende Weihnachtsbeleuchtung in der City. Und richtig spannend wird es dann auf der nächsten Ebene, wenn es etwa um eine politische Frage wie die Erhaltung des  Mecklenburgischen Staatstheaters Schwerin in der ganzen Breite seines Angebotes und seiner Möglichkeiten geht. Da sind wir auch bereit, konkret etwas zum Gelingen beizusteuern.

   Frage: Steht dann auf dem Pausenvorhang zu lesen: „Gute Unterhaltung bei Büchners 'Woyzek', präsentiert von der Deutschen Bank?

   Klaus Michael Rothe: Das ist eine Frage des Stils. Wahrscheinlich wäre eine Banderole besser, zumindest aber eine gebührende Erwähnung im Programmheft.

   Frage: Da fragt sich bloß noch, wie so mancher Sponsor auf einen Gesponserten reagiert, der ganz trocken feststellt: „Wes Brot ich eß', des Lied sing ich noch lange nicht“. Wie viele Störungen des eigenen Geschmacks-Nervensystems nimmt denn ein kunstsinniger Unternehmer hin? Steht da am Horizont nicht doch die Gefahr (oder, je nach Standpunkt, die Aussicht), daß Teile des Kulturlebens nach Gusto privater Geldgeber eingenordet werden?

   Klaus Michael Rothe: Ach, wissen Sie, früher hieß es immer: Der Geist steht links. Und auch heute, wo das so sicher nicht mehr gilt, kann man ja die meisten Künstler und Kulturschaffenden nicht gerade dem Bürgertum zuordnen. Die Wirtschaft muß sich demgegenüber als erhaltender Faktor sehen, während die Künstler zuallermeist Freigeister sind, also unverändert eher links. Es ist nicht unsere Aufgabe und nicht unser Ziel, das zu ändern. 


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Montag, 25. September 2000

Kommunen im Wettbewerb - Staat und Gemeinde als Konkurrenten der Privatwirtschaft



Teil 2 eines Vortrag von Klaus-Michael Rothe, Hauptgeschäftsführer der IHK zu Schwerin, auf der Tagung „Kommunen im Wettbewerb“ im Rahmen der vierten Greifswalder Verwaltungsfachtage an der Ernst-Moritz-Arndt Universität Greifswald im September 2000 [Teil 1]




Wir als IHK zu Schwerin wissen, dass ein Beharren beider Seiten - der kommunalen wie der Wirtschaftsseite - auf der jeweils eigenen Maximalposition sicherlich nicht durchsetzbar sein wird. Die zunehmende Belastung kommunaler Finanzen durch zusätzlich zu erbringende Aufgaben, durch Kostenexplosionen z.B. im Bereich der Sozialhilfe, führen teilweise zu einer erheblichen Unterdeckung der Haushalte. Unpopuläre Maßnahmen sind auf der Einnahmeseite die Anhebung der Steuern, Gebühren und Abgaben. Zudem scheinen klassische Vollkostenrechnungen zur Ermittlung der tatsächlichen Kosten einer Amtshandlung jedoch nach wie vor Mangelware. Kostensteigerungen für eine Vielzahl von Amtshandlungen scheinen daher aus Sicht der IHK zu Schwerin daher unumgänglich.

Was wir vor dem Hintergrund der Debatte um die wirtschaftliche Betätigung der öffentliche n Hand benötigen, ist auf allen Seiten eine neue pragmatisch-politische Perspektive. Diese hat zu berücksichtigen das dargelegte Steuerstaatssystem, die kurz- und mittelfristige Haushaltslage der Kommunen sowie vor dem Hintergrund der europaweiten Liberalisierungstendenzen die mögliche Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit kommunaler Unternehmen in bisher monopolistischen Märkten. Denn insbesondere die bisherigen Strukturen der klassischen Daseinsvorsorge der Kommunen in den Bereichen Wasser, Abwasser, Energie und ÖPNV stehen auch auf dem europaweiten Prüfstand.

Nach der Liberalisierung der Telekommunikationsdienstleistungen sowie der Bereiche Post und Bahn zeigte insbesondere die Strommarktliberalisierung den enormen Druck auf kommunale Anbieter. Für die gewerbliche wie auch privaten Verbraucher zahlte sich diese Liberalisierung bisher aus. Die Kosten der Telekommunikationsdienstleistungen sind drastisch gesunken, bei den Strompreisen sind Abschläge zwischen 20 und 50% zu beobachten. Damit ist zweierlei verbunden: Zum einen entfällt das gerne von den Kommunen verwandte Argument, das Angebot öffentlicher Wirtschaftsleistungen sichere günstige Preise. Zum anderen werden die Grenzen der wirtschaftlichen Betätigung der öffentliche n Hand deutlich aufgezeigt. Waren früher die Kunden der Stadtwerke „ gefangene Kunden “ aufgrund des Abnahmezwanges durch das Regionalversorgerprinzip, so sind nun umgekehrt die Stadtwerke gefangen durch das kommunalverfassungsrechtliche Territorialitätsprinzip. Die Bindung an die Kommunen verhindert ein Ausweiten des eigenen Engagements in räumlicher Sicht.

Das Innenministerium in Mecklenburg-Vorpommern hatte auf diese Situation, nicht zuletzt auch aktiv unterstützt durch die IHK zu Schwerin, im Herbst letzten Jahres reagiert. Aufgrund eines Erlasses zur Interpretation und Auslegung der Kommunalverfassung Mecklenburg-Vorpommern dürfen die hiesigen Stadtwerke im Bereich des Stroms auch Kunden außerhalb des eigentlichen Versorgungsgebietes beliefern. Doch diese Interpretation erscheint lediglich quasi als Krücke. Vor dem Hintergrund der ersten Erfahrungen zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit in bisher monopolisierten Märkten muss auch die regionale Erweiterung aus Rentabilitätsgründen oder zum Erreichen von kosteneffizienten Betriebsgrößen offen diskutiert werden. Die aktuell um die Anteile der BEWAG vor den Gerichten ausgetragene Auseinandersetzung zeigt die Dramatik und wohl auch den Trend auf. Der Marktzwang zur Größe ergreift die betroffenen Unternehmen. Preussag / HEW / Vattenfall und dann die BEWAG mit den Anteilen an dem ostdeutschen Braunkohleverstromer VEAG wollen durch Marktdominanz und Größe ihr Überleben sichern. Ein „ Stadtwerkesterben “ in Deutschland erscheint angesichts der Größe und der damit verbundenen Marktmacht der Konkurrenten unausweichlich.

Nur: Auf der Strecke geblieben ist bei der zu beobachtenden Erweiterung der regionalen Betätigungsfelder kommunaler Unternehmen die allgemeine und auch rechtliche Begründung zur überregionalen wirtschaftlichen Betätigung. Eine herkömmliche Form der Randnutzung oder Annex-Tätigkeit ist bei den Erweiterungs- und Fusionsbestrebungen einiger kommunaler Unternehmen nicht mehr zu erkennen. In dieser Frage besteht daher ein akuter Handlungs- und Regelungsbedarf durch den Bundes- und Landesgesetzgeber. Soll z.B. die regionale Ausweitung der Tätigkeiten kommunaler Unternehmen de lege ferenda erlaubt werden, ist aus der Sicht der IHK zu Schwerin bzw. der Wirtschaft die Frage nach der Gewährträgerhaftung zu klären. Eine mögliche Belastung der Steuerzahler allein am Sitz der kommunalen Gesellschaft ist nicht hinnehmbar.

Neben dem Strommarkt gewinnt nun auch die Liberalisierung des Gasmarktes seit dem 10. August 2000 an Bedeutung. Öffentlich diskutiert wird zudem die Pflicht zur Privatisierung des ÖPNV seit der geplanten Neufassung der „ EU-Transparenzrichtlinie “. Erkennbar ist eine europaweite Liberalisierungsbewegung , die auf die Stadtwerke zukommt. Dies hängt nicht nur mit der bisherigen erfolgreichen Marktöffnung öffentlicher Unternehmen zusammen. Denn in das Visier der EU-Wettbewerbshüter sind die staatsnahen Unternehmen aufgrund der Einleitung einer Fülle von Prüfverfahren geraten. Gemeinsamer Prüfgegenstand durch die EU-Kommission ist immer die Frage der Chancengleichheit der am Wettbewerb beteiligten öffentlichen und privaten Unternehmen. Öffentliche Zuschüsse, Steuerbefreiungen oder andere Vorteile wie die der Quersubventionierung erfüllen nach Ansicht der EU-Kommission schon als solche den Tatbestand der Wettbewerbsverzerrung. U.a. mit der EU-Transparenzrichtlinie soll daher nur die Chancengleichheit zwischen öffentlichen und privaten Unternehmen wieder hergestellt werden. Bereits jetzt deckt diese EU-Transparenzrichtlinie auf, dass die übliche stadtwerksinterne Quersubventionierung beim ÖPNV 20% und mehr beträgt. Dies hat zur Folge, dass nach Auslaufen der befristeten Genehmigungen zum Betrieb des ÖPNV diese Leistungen durch die Kommunen öffentlich auszuschreiben sind. Mindestens 40 Städte in Deutschland mit einem Querverbundsystem - bzw. der daraus resultierenden Quersubventionierung - sind davon betroffen.

Kommunen und spezielle Verbände laufen bereits mit der (falschen) Behauptung Sturm, die Grundfesten der Daseinsvorsorge würden erschüttert. Gewerkschaften warnen vor Billiganbietern mit Dumpinglöhnen. Die deutschen Länder vertreten die Auffassung, nur Leistungen im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse unterlägen dem Wettbewerbsrecht während Leistungen der Daseinsvorsorge eine schützenswerte Sonderrolle einnähmen.

Zudem sollen neben Leistungen privater Unternehmen, die nicht flächendeckend, nicht in ausreichender Qualität oder zu nicht angemessenen Preisen angeboten werden, öffentliche Unternehmen weiterhin tätig sein. Diese Argumentation der öffentliche n Hand verkennt nach Überzeugung der IHK zu Schwerin jedoch den eigentlichen Sinn des Wettbewerbsrechts und des Nebeneinanders öffentlicher und subventionierter Unternehmen einerseits sowie andererseits privater Unternehmen. Wenn und soweit öffentliche Unternehmen subventionserhebliche Vorteile erhalten und auf dem Markt zu privaten Unternehmen mit der gleichen Leistung in Konkurrenz treten, liegt ein Wettbewerbsverstoß vor. Ob Leistungen der Daseinsvorsorge im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse liegen, oder eine schützenswerte Sonderrolle einnehmen, ist hingegen ohne Belang.

weiter mit Teil 3 
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Der vorstehend wiedergegebene Vortrag des Hauptgeschäftsführers der IHK zu Schwerin, Klaus-Michael Rothe, ist Teil der Dokumentation der Tagung „ Kommunen im Wettbewerb “ anlässlich der vierten Greifswalder Verwaltungsrechtstage vom September 2000 an der Ernst-Moritz-Arndt Universität Greifswald. (Rothe, Klaus-Michael: Kommunen im Wettbewerb - Staat und Gemeinde als Konkurrent der Privatwirtschaft. In: Wallerath, Maximilian (Hg.), Kommunen im Wettbewerb. Wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden, Nomos Verlagsgesellschaft Baden-Baden, 2001, S. 43 - 50).


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