von Klaus-Michael Rothe, Hauptgeschäftsführer der IHK
zu Schwerin
(Erster Teil von zwei Teilen aus: Rothe,
Klaus-Michael: Selbstverwaltung ist Selbstgestaltung - Zur Arbeit der IHKs.
In: Zum mercklichen Vortheil des Publici... Aus der Geschichte der
Industrie- und Handelskammern Neubrandenburg, Rostock und Schwerin.
1. Aufl. Rostock: Verlag Redieck & Schade, 2003, S. 345 - 353)
A. Was sind Industrie- und Handelskammern
1. Organisationsform
Die Industrie- und Handelskammern (IHKs) sind
Körperschaft en des öffentlichen Rechts, in denen sich die Wirtschaft zur
eigenen Interessenvertretung und zur Regelung an sich staatlicher, jedoch
wirtschaftsnaher Aufgaben selbst organisiert. Das oberste Gremium der IHK ist
die von allen IHK zugehörigen Unternehmen gewählte Vollversammlung mit dem
Präsidium an der Spitze. Die Mitglieder in Vollversammlung und Präsidium sind
ausschließlich Unternehmer/innen oder Unternehmensvertreter/innen. Sie werden regelmäßig
von allen IHK zugehörigen Unternehmen des jeweiligen IHK Bezirkes gewählt.
Mecklenburg-Vorpommern hat je eine Industrie und Handelskammer in Schwerin, in
Rostock und in Neubrandenburg sowie je eine Handwerkskammer in Schwerin und
Rostock. Hinzu kommen jeweils eine landesweit für ganz Mecklenburg-Vorpommern
tätige Architektenkammer, Ingenieurkammer, Apothekerkammer, Ärztekammer,
Zahnärztekammer, Tierärztekammer, Steuerberaterkammer sowie die Rechtsanwalts-
und Notarkammer - alle mit Sitz in der Landeshauptstadt Schwerin.
Hinter dem Kammersystem steht die Tatsache, dass
die Selbstorganisation der Wirtschaft, des Handwerks und der freien Berufe
kompetenter, wirksamer, preisgünstiger und unkomplizierter ist als eine
staatliche Wirtschaftsverwaltung es sein könnte. Die über 3.700 ehrenamtlich,
also unentgeltlich (!), für die IHKs in Mecklenburg-Vorpommern aktiven
Unternehmer/innen benötigen aber hauptamtlich tätige Mitarbeiter/innen zu ihrer
Unterstützung, denn die ehrenamtlich arbeitenden Unternehmer/innen führen in
erster Linie ihre eigenen Unternehmen. Unter der Leitung des
Hauptgeschäftsführers und mehrerer für verschiedene Geschäftsbereiche
zuständiger Geschäftsführer/innen erledigen deshalb die Mitarbeiter/innen der
IHKs die Aufgaben zur ständigen Interessenvertretung der kammerzugehörigen
Unternehmen und der Wirtschaftsförderung. Hinzu treten die Aufgaben, die der
Staat den IHKs per Gesetz oder Verordnung als Wirtschaftsorganisationsaufgaben
übertragen hat.
2. Grundlegende Aufgaben der IHKs: Interessenvertretung,
Wirtschaftsförderung, Hoheitliche Aufgaben
„ Interessenvertreter der Wirtschaft - Ratgeber
des Staates und der Unternehmen - Förderer der Wirtschaft “: Das ist die
Kurzformel für die Tätigkeit der Industrie- und Handelskammern. Diese Beschreibung
zeigt, dass die IHKs wie ein Scharnier zwischen Unternehmen und Staat
funktionieren. Denn die regionale Wirtschaft benötigt ein Kooperationsgeflecht
und ein funktionierendes Netzwerk; das Getriebe hierfür sind die IHKs.
Als „ Interessenvertreter der Wirtschaft “ und als
„ Ratgeber für Staat und Unternehmen “ sorgen die IHKs dafür, dass bei allen
wirtschaftsrelevanten Entscheidungen von Verwaltung und Politik auf lokaler
oder auf Landesebene, in Berlin oder Brüssel die Interessen der Wirtschaft berücksichtigt
werden. Weil alle Unternehmen der Region (außer den Handwerksbetrieben und den
freien Berufen) Mitglieder der jeweiligen Industrie- und Handelskammer sind und
ihre gewählten Vertreter/innen in die Vollversammlung entsenden, kann von der
Kammer eine objektive und ausgewogene Wirtschaftspolitik formuliert werden. Die
Meinungsbildung zu den unterschiedlichen Belangen der Wirtschaft z.B. im
Bundesland Mecklenburg-Vorpommern erfolgt in Zusammenarbeit mit den 3.700 in
den Gremien und Ausschüssen der drei IHKs in M-V tätigen
Unternehmensvertreter/innen sowie durch Befragungen und Kontakte zu den
Mitgliedsunternehmen. Bei zahlreichen Punkten, die Einfluss auf die Wirtschaft
haben, z.B. bei der Planung von Verkehrswegen, beim Entwurf von
Förderrichtlinien oder zu Bauplanungen geben die Kammern gegenüber Verwaltung
und Politik fachliche Gutachten und Stellungnahmen ab. Sie sind zudem für
einzelne Unternehmen als objektive Gutachter tätig, wenn es z.B. um die Wahl
der Firmierung, um Anträge für öffentliche Kredite und Fördermittel, die
Auswahl von Unternehmensstandorten, um Anträge zur Unabkömmlichkeitsstellung
von Arbeitnehmern vom Wehrdienst und um vieles mehr geht.
Als „ Förderer der Wirtschaft “ setzen sich die
IHKs für die gesamte Wirtschaft der jeweiligen Region, für ganze Branchen wie
auch für einzelne Unternehmen und für zukünftige Unternehmer ( Existenzgründer
) ein. Die Wirtschaftsförderung der Kammer funktioniert als
Selbsthilfeorganisation der Unternehmer/innen selbst: Wo die wechselnden
Schwerpunkte liegen, bestimmen allein die Unternehmen durch ihre Nachfrage bei
der Kammer und durch Entscheidungen der von allen kammerzugehörige n
Unternehmen gewählten Vollversammlungsmitglieder sowie des Präsidiums der IHK
selbst.
Schwerpunkte der Wirtschaftsförderung der IHKs
liegen insbesondere in der aktiven Einflussnahme auf die Verbesserung der
Verkehrs-, Ver- und Entsorgungsinfrastruktur, in der Bestandspflege der
vorhandenen Unternehmen, in der betriebswirtschaftlichen Erstberatung, der
Existenzgründerberatung, der Erteilung von Rechts- und Steuerauskünften, der
Umwelt- und in der Innovationsberatung.
Zudem gewährleisten die IHKs in Deutschland die
Ausbildung in den Unternehmen und sichern somit die Zukunftsfähigkeit der
Betriebe. Und so kommen die meisten Bürger in Kontakt mit der Industrie- und
Handelskammer, wenn es um die Ausbildung und Prüfungen in
gewerblich-technischen sowie kaufmännischen IHK-Berufen geht. Zusammen mit den
Unternehmen sorgt die IHK für die Ausbildungsfähigkeit und -eignung der Betriebe.
Die IHK garantiert zugleich die Qualität der Ausbildungsinhalte und organisiert
die theoretischen wie praktischen Zwischen- und Abschlussprüfunge n, die
bundesweit anerkannt sind.
Die gesamte, weltweit vorbildliche deutsche
Berufsausbildung wird in Deutschland von den Kammern mit ehrenamtlich er (d.h.
unentgeltlicher!) Unterstützung der Unternehmen organisiert, ohne dass dafür
ein staatlicher Verwaltungsapparat notwendig ist. In Mecklenburg-Vorpommern
z.B. betreuen und organisieren die IHKs in Schwerin, Rostock und Neubrandenburg
mit Hilfe von zur Zeit (2002) über 750 ehrenamtlichen Prüfungsausschüssen mit
3.100 ehrenamtlichen Prüfern/innen in über 110 verschiedenen Berufsbildern mehr
als 30.000 Ausbildungsverhältnisse in ca. 5.000 Ausbildungsbetrieben. Jährlich
führen die drei IHKs mit nur 37 hauptamtlichen Mitarbeitern/innen ihrer
Geschäftsbereiche Aus- und Weiterbildung 22.500 Prüfungen durch. Über 230.000
Prüfung en haben die drei IHKs in Mecklenburg-Vorpommern zwischen 1991 und 2002
erfolgreich organisiert.
3. Aufgabenerfüllung im Auftrag des Staates
Die IHKs erfüllen mit allen ihren Tätigkeiten
Aufgaben, die ihnen der Staat per Gesetz aufgegeben hat. Wichtigste
Rechtsgrundlage ist dabei das Bundes IHK Gesetz ( IHK G ) vom 18. Dezember
1956. In seinem § 1 gibt das IHK G den IHKs den Auftrag, das Gesamtinteresse
der Wirtschaft ausgleichend und abwägend zu vertreten und für die Förderung der
gewerblichen Wirtschaft zu wirken:
Abs. 1: Die Industrie- und Handelskammern haben …
die Aufgabe, das Gesamtinteresse der Ihnen zugehörigen Gewerbetreibenden ihre
Bezirkes wahrzunehmen, für die Förderung der
gewerblichen Wirtschaft zu wirken und dabei die wirtschaftlichen
Interessen einzelner Gewerbezweige oder Betriebe abwägend und ausgleichend zu
berücksichtigen; dabei obliegt es ihnen
insbesondere, durch Vorschläge, Gutachten und Berichte die Behörden zu
unterstützen und zu beraten sowie für Wahrung von Anstand und Sitte des
ehrbaren Kaufmannes zu wirken.
Abs. 2: Die Industrie- und Handelskammern können Anlagen
und Einrichtungen , die der Förderung der gewerblichen Wirtschaft oder
einzelner Gewerbezweige dienen, begründen, unterhalten und unterstützen sowie
Maßnahmen zur Förderung und Durchführung der kaufmännischen und gewerblichen
Berufsbildung unter Beachtung der geltenden Rechtsvorschriften, insbesondere
des Berufsbildungsgesetzes, treffen.
Abs. 3: Den Industrie- und Handelskammern obliegt
die Ausstellung von Ursprungszeugnisse n und anderen dem Wirtschaftsverkehr
dienenden Bescheinigungen, soweit nicht Rechtsvorschriften diese Aufgaben
anderen Stellen zuweisen.
Abs. 4: Weitere Aufgaben können den Industrie- und
Handelskammern durch Gesetz oder Rechtsverordnung übertragen werden.
Sämtliche Aktivitäten der IHKs finden sich in
diesem gesetzlichen Auftrag wieder: Auf der einen Seite nehmen sie durch ihre
aktive Arbeit als „ Interessenvertreter der Wirtschaft “ und als „ Ratgeber für
Staat und Unternehmen “ das Gesamtinteresse der Wirtschaft wahr, auf der
anderen Seite wirken sie insbesondere durch ihr breites Dienstleistungsangebot
als „ Förderer der Wirtschaft “. Hinzu kommen die zahlreichen hoheitlichen
Aufgaben, die den IHKs durch das IHK Gesetz ( IHK G ) und durch weitere
Gesetze, insbesondere das Berufsausbildungsgesetz ( BbiG ), übertragen wurden.
Von der grundsätzlichen Zielrichtung ihrer Arbeit
ist die IHK somit an die Vorgaben des Gesetzgebers gebunden: Die Wahrnehmung
des Gesamtinteresse s der gewerblichen Wirtschaft und die Förderung der
Wirtschaft. Wie und durch welche Aktivitäten die IHKs dieser Verantwortung
nachkommen, entscheiden sie jedoch selbst - durch die von allen Mitgliedern
gewählten Unternehmer/innen und Unternehmensvertreter/innen in der
Vollversammlung und im Präsidium. Öffentliche Aufgaben werden so effektiv in
die Hände der betroffenen Unternehmen selbst gelegt: Selbstgestaltung durch
gelebte Selbstverwaltung!
4. Struktur und interne Organisation der IHKs
Die IHKs sind Körperschaften des öffentlichen
Rechts, denen alle Unternehmen mit Ausnahme reiner Handwerksbetriebe angehören,
wenn sie generell gewerbesteuerpflichtig sind. Unternehmen, die auch in der
Handwerksrolle in dem Verzeichnis handwerksähnlichen Gewerke eingetragen sind,
gehören mit ihrem nichthandwerklichen Betriebsteil der IHK an.
Die Aufgaben der IHKs werden von deren gesetzlich
festgelegten Organen wahrgenommen. Das oberste Beschlussorgan ist die
Vollversammlung, das “ Parlament der Wirtschaft “. Ihre Mitglieder sind
Unternehmer/innen und Unternehmensvertreter/innen aus dem jeweiligen IHK
Bezirk, die in regelmäßigen Abständen durch alle IHK zugehörigen Unternehmen
per Briefwahl gewählt werden. Die verschiedenen Wirtschaftszweige sind in der
Vollversammlung ihrer Bedeutung in dem jeweiligen IHK Bezirk entsprechend
repräsentativ besetzt. Bei den Wahlen zur Vollversammlung hat jedes Unternehmen
unabhängig von seiner Größe oder Mitarbeiterzahl eine Stimme und somit die
gleiche Einflussmöglichkeit auf die Arbeit der IHK.
Als höchstes IHK Gremium bestimmt die
Vollversammlung über die Richtlinien der Kammerarbeit und beschließt über alle
Fragen, die von grundsätzlicher Bedeutung für die gewerbliche Wirtschaft oder
die Arbeit der IHK sind. Insbesondere bestimmen die in der Vollversammlung
vertretenen gewählten Unternehmer/innen und Unternehmensvertreter/innen über
den Haushalt der IHK und damit über sämtliche Einnahmen und Ausgaben sowie über
die Höhe der jährlichen IHK-Beiträge.
Aus ihrer Mitte wählt die Vollversammlung das
Präsidium mit dem Präsidenten/der Präsidentin an der Spitze und mehreren
Vizepräsidenten/innen, deren Anzahl in der Satzung der jeweiligen IHK
festgelegt wird. Aufgabe des Präsidiums ist es, die Beratungen der
Vollversammlung vorzubereiten und für die Durchführung der von der
Vollversammlung gefassten Beschlüsse zu sorgen. Zudem ist der Präsident/die
Präsidentin der /die oberste ehrenamtliche Vertreter/in der IHK zugehörigen
Unternehmen und repräsentiert zusammen mit dem IHK Hauptgeschäftsführer die IHK
nach außen. Dieses System gewährleistet eine demokratisch legitimierte und
glaubwürdige Vertretung des Gesamtinteresses der gewerblichen Wirtschaft
gegenüber Politik und Verwaltung sowie in der Gesellschaft.
Neben dem Präsidium bestellt die Vollversammlung
jeder IHK einen Hauptgeschäftsführer, der gemeinsam mit den anderen
hauptamtlichen Mitarbeitern/innen für die laufenden Geschäfte der IHK, für die
ständige Interessenvertretung der IHK zugehörigen Unternehmen und für die
wirtschaftsfördernden Aufgaben der IHK verantwortlich ist. Ein unentbehrliches
Bindeglied zwischen dem Hauptamt, der Vollversammlung und den Unternehmen sind
die ebenfalls mit ehrenamtlichen Unternehmer/innen und
Unternehmensvertretern/innen besetzten IHK Fachausschüsse und IHK
Arbeitskreise. Sie werden zur Unterstützung von Vollversammlung, Präsidium und
Geschäftsführung gebildet. Die Ausschüsse haben gegenüber den
Entscheidungsorganen eine Beratungsfunktion für die Vollversammlung und die
hauptamtlichen Mitarbeiter/innen. Sie gewährleisten, dass unternehmerischer
Sachverstand und Praxisnähe unmittelbar in die Entscheidungs- und Arbeitsprozesse
der IHK einfließen.
(Ende des ersten Teils von zwei Teilen „
Selbstverwaltung ist Selbstgestaltung - Zur Arbeit der
IHKs “ von Klaus-Michael Rothe,
Hauptgeschäftsführer der IHK zu Schwerin. Aus: Rothe, Klaus-Michael: Selbstverwaltung
ist Selbstgestaltung - Zur Arbeit der IHKs. In: Zum mercklichen
Vortheil des Publici... Aus der Geschichte der Industrie- und
Handelskammern Neubrandenburg, Rostock und Schwerin. 1. Aufl. Rostock:
Verlag Redieck & Schade, 2003, S. 345 – 353).
Labels: Hauptgeschäftsführer, IHK Schwerin, Klaus-Michael Rothe, Mecklenburg-Vorpommern, Rothe IHK, Wirtschaft