"Privatisierung der Verantwortung"
Frage: Sie haben kürzlich „gemeinsam mit
Vertretern von Politik, Wirtschaft und Kultur“, wie es in Ihrer
Pressemitteilung heißt, einen „IHK Arbeitskreis Wirtschaft und Kultur“ aus der
Taufe gehoben. Geht’s jetzt los mit der großen Kulturförderung durch die freie
Wirtschaft in M-V?
Klaus Michael Rothe: Ich habe schon auf der
von Ihnen angesprochenen Versammlung in der IHK gesagt: Ohne Wirtschaft ist
alles nichts, denken Sie nur an die Steuereinnahmen, ohne die staatliche
Ausgaben undenkbar wären. Das mag einem Künstler passen oder nicht. Außerdem
ist das Kulturangebot einer Region natürlich ein nicht zu unterschätzender
Standortfaktor: Dafür, ob ein ansiedlungswilliger Unternehmer sich in einer
Stadt wie Schwerin wohlfühlen kann, ist es doch nicht unerheblich, ob es das
Mecklenburgische Staatstheater gibt oder nicht. Die Wirtschaft braucht ein
gedeihliches kulturell-soziales Umfeld, die Kultur benötigt eine
leistungsstarke Wirtschaft, die zur Finanzierung der öffentlichen Aufgaben
beiträgt; insofern bedingen beide einander. Ich hab' da so meine eigene
Philosophie …
Klaus-Michael Rothe |
… aber doch wohl auch eigene Interessen?
Klaus
Michael Rothe: Vernunft, Kreativität, Phantasie - das alleine hebt den Menschen
über die übrigen Lebewesen hinaus. Dadurch sind wir einzigartig. Besonders wir,
die wir uns hier in der Aufbauphase seit fünf Jahren um uns selber drehen,
vergessen das vielleicht zu oft. Es gibt viel zu tun, und es ist viel
nachzuholen. Seit zwei Wochen haben wir unten im Empfangsbereich der IHK
Schwerin ein Bild als Leihgabe hängen, - darüber freue ich mich, das gefällt
mir sogar.
Frage:
Welche konkreten Aufgaben hat sich der IHK - Arbeitskreis gesetzt?
Klaus
Michael Rothe: Wir wollen kulturinteressierte Unternehmer innerhalb der IHK
Schwerin zusammenführen, die auch wirklich bereit sind, Geld einzubringen, um
Projekte anzustoßen. Es kann - gerade jetzt in Zeiten leerer öffentlicher
Kassen - nicht immer nur darum gehen, Geldforderungen an den Staat zu richten.
Wir wollen uns selbst in die Pflicht begeben. Konkret haben wir als IHK in Gesprächen
mit dem Schweriner Kultusministerium das Förderprogramm „Zweite Mark“ auf den
Weg gebracht: Ein spezieller Förder-Fonds soll halbe-halbe aus Landesmitteln
und aus Geldern bestritten werden, die von der Privatwirtschaft beigesteuert
werden, und das immerhin in einer Größenordnung von einigen hunderttausend
Mark. Wir verstehen uns als echte Lobby für Kunst und Kultur: Jeder muß sehen,
daß er seine Truppen um sich schart. Die Qualität der Argumente muß wachsen,
aber auch die Zahl derer, die sie vertreten.
Frage: Jetzt werden also schon Positionen im
Kulturetat geschaffen, die nur zustandekommen, wenn die Privatwirtschaft
fünfzig Prozent beisteuert. Wird die Kunst strukturell gezwungen, zum Geld zu
gehen?
Klaus
Michael Rothe: Ach, was. Angesichts der überhandnehmenden Sachzwänge bleibt
doch gar kein anderer Weg! Oder wollen Sie wichtige Kultur-Projekte untergehen
lassen, bloß weil es Mittel aus der Privatwirtschaft sind, die sie am Leben
erhalten können? Unser IHK - Arbeitskreis wird produktiv sein …
… so produktiv wie die Deutsche Bank Schwerin? Die
hat es ja fertiggebracht, ihren Ruhm als Finanzier des neuen Henrich-Denkmals
auf dem Schweriner Marktplatz sozusagen als Bestandteil des Kunstwerks in Stein meißeln zu lassen.
Klaus
Michael Rothe: Das hätt' ich als IHK genauso gemacht. Dieses Opfer müssen die
Beteiligten schon bringen. Darin mag die Möglichkeit eines Konfliktstoffes
angelegt sein, aber auf minimaler Ebene. Damit können doch alle Beteiligten
leben. Kritischer würde es, wenn regelrecht den künstlerischen Gehalt
berührende Auflagen gemacht würden.
Frage:
Glauben Sie denn im Ernst, daß beispielsweise jemand, der als Künstler in den
Genuß von Sponsoring Geldern der Mercedes Benz AG gekommen ist, ohne weiteres
auf den Gedanken käme, so richtig ätzend Kritik an der automobilen Gesellschaft
rüberzubringen?
Klaus
Michael Rothe: Da wären in der Tat Interessenkonflikte denkbar. Aber zurück zu
unserer IHK Arbeitsgruppe: Da sind doch ganz unterschiedliche Leute drin, das
ist doch nicht nur eine bestimmte Richtung. Wir werden uns schon aus solidem
Eigeninteresse um einen möglichst weiten Horizont bemühen. Es geht uns ja auch
um ganz konkrete Schritte zu einer verbesserten Stadtgestaltung: So will der
IHK Arbeitskreis beispielsweise anregen, daß auf dem Marktplatz der
Landeshauptstadt Schwerin wieder ein Brunnen platziert wird und uns selbst als
IHK Arbeitskreis auch um die Mittelbeschaffung kümmern. Es ist im Übrigen klar,
daß man in solchen Fällen für die Auftragsvergabe eine unabhängige,
fachkompetente Jury bildet, die nicht von etwaigen Privat-Interessen einzelner
Sponsoren in ihren Entscheidungen bestimmt werden kann.
Frage:
Verlagert sich nicht aber doch die Dominanz in der Kulturförderung zusehends
vom staatlichen in den privatwirtschaftlichen Bereich?
Klaus
Michael Rothe: Ja, da kann man schon positiv von der „Privatisierung der
Verantwortung“ für diesen Bereich sprechen. Da gilt das Prinzip „Zurück zum
Bürger“, - so viel Staat wie nötig, so wenig Staat wie möglich.
Frage:
Sie haben von einer sozusagen etatmäßig institutionalisierten Form von
Kultur-Sponsoring gesprochen. Wie weit sind denn Ihre Kontakte mit dem
Kultusministerium in Schwerin insgesamt gediehen?
Klaus
Michael Rothe: Wir sehen uns als IHK Schwerin in der Rolle der Einladenden. In
Bezug auf den gesamten Bildungsbereich sind die Kontakte naturgemäß schon immer
eng. Bei der Kulturstrecke stecken wir noch in den Kinderschuhen.
Frage:
Vorausgesetzt, Ihr Modell von Kultursponsoring gewinnt generell ein solches
Gewicht, daß der Einsatz von Mitteln der Privatwirtschaft aus der öffentlichen
Kulturförderung nicht mehr wegzudenken ist. Entstehen da nicht doch
Abhängigkeiten, die letztlich für niemanden mehr kontrollierbar sind?
Klaus
Michael Rothe: Was heißt denn kontrollierbar? Die Kunst ist frei. Man soll ja
auch unseren Ansatz nicht überinterpretieren, - in der Hauptsache verstehen wir
uns in der IHK als Anreger von Projekten. Wir wollen und können kein steuerndes
und kontrollierendes Gremium sein. Wir wollen zu Impulsgebern werden, wie eine
Qualle, die atmet. Sicher geht es beim Kultursponsering auch um den
Werbeeffekt. Aber - wie gesagt - wir sehen uns ebenso als eine Art politischer
Lobby nicht nur für die Wirtschaft, sondern eben auch für die mit ihr in
Beziehung stehende Kultur. Wobei ja weit gefaßt ist, was man unter
Kulturförderung verstehen kann. Da fällt das Veranstaltungsplakat, das eine
Firma in ihr Schaufenster hängen läßt, genauso darunter, wie beispielsweise der
Einsatz für eine stadtgestalterisch passende Weihnachtsbeleuchtung in der City.
Und richtig spannend wird es dann auf der nächsten Ebene, wenn es etwa um eine
politische Frage wie die Erhaltung des
Mecklenburgischen Staatstheaters Schwerin in der ganzen Breite seines
Angebotes und seiner Möglichkeiten geht. Da sind wir auch bereit, konkret etwas
zum Gelingen beizusteuern.
Frage:
Steht dann auf dem Pausenvorhang zu lesen: „Gute Unterhaltung bei Büchners
'Woyzek', präsentiert von der Deutschen Bank?
Klaus
Michael Rothe: Das ist eine Frage des Stils. Wahrscheinlich wäre eine Banderole
besser, zumindest aber eine gebührende Erwähnung im Programmheft.
Frage: Da
fragt sich bloß noch, wie so mancher Sponsor auf einen Gesponserten reagiert,
der ganz trocken feststellt: „Wes Brot ich eß', des Lied sing ich noch lange
nicht“. Wie viele Störungen des eigenen Geschmacks-Nervensystems nimmt denn ein
kunstsinniger Unternehmer hin? Steht da am Horizont nicht doch die Gefahr (oder,
je nach Standpunkt, die Aussicht), daß Teile des Kulturlebens nach Gusto
privater Geldgeber eingenordet werden?
Klaus
Michael Rothe: Ach, wissen Sie, früher hieß es immer: Der Geist steht links.
Und auch heute, wo das so sicher nicht mehr gilt, kann man ja die meisten
Künstler und Kulturschaffenden nicht gerade dem Bürgertum zuordnen. Die
Wirtschaft muß sich demgegenüber als erhaltender Faktor sehen, während die
Künstler zuallermeist Freigeister sind, also unverändert eher links. Es ist
nicht unsere Aufgabe und nicht unser Ziel, das zu ändern.
Labels: Abfindung, bffk, Hauptgeschäftsführer, IHK Schwerin, Klaus-Michael Rothe, Kultur, Mecklenburg-Vorpommern, Rothe IHK, Wirtschaft